Hochkanzel via Schneepfanne / Brantlspitze / Gamskarspitze

(Überschreitung südlicher Rosslochkamm)

2574 / 2626 / 2601 Meter

Karwendel

29. Juni 2019

Autor: Jürgen

 

Beschreibung:

B2 Scharnitz (955m) - per MTB zur Gleirschhöhe und ins Hinterautal bis zur Kastenalm (1.220m), Raddepot - zu Fuß ins Rossloch und hinauf zur Schneepfanne (2.120m) - via nordseitiger Steilrinne zur Scharte und über den Westgrat zur Hochkanzel (2.574m) - zurück zur Scharte und am Grat westwärts zur Brantlspitze (2.626m) und Gamskarspitze (2.601m) - Abstieg zur Hallerangeralm (1.768m) und am Lafatscher Niederleger (1.577m) vorbei zurück zur Kastenalm - mit MTB raus nach Scharnitz.

 

Schwierigkeitsgrad: sehr schwierig (T6/II+)

Langwierige Überschreitung des südlichen Rosslochkamms, nur bei stabilem Wetter anzuraten. Die Begehung empfiehlt sich im relativ kurzen Zeitfenster im Juni/Juli, wenn die ca. 45° steile nordseitige Zustiegsrinne aus der Schneepfanne mit Firn gefüllt ist - Steigeisen und Pickel sollten dabei sein. Der Grat zwischen Hochkanzel und Gamskarspitze ist auf langen Strecken ausgesetzt mit hohen Steilflanken zu beiden Seiten, Kletterschwierigkeiten bis II+, an manchen Stellen recht brüchig. 

 

Dauer: 10:45 Stunden

Höhenmeter: 2.060 Meter

 

Parkplatz:

B2 bei Scharnitz.  

 

Einkehrmöglichkeiten:

Kastenalm

Hallerangeralm

Hallerangerhaus

 

Landschaft:  ********** (10/10)

Kondition:      ********* (9/10)

Anspruch:         ******** (8/10)



Leben am Grat zwischen Hochkanzel und Gamskarspitze. Einer von unzähligen Eindrücken auf einer Tour im innersten Karwendel, und das an einem Tag mit unüberbietbarem Schönwetter während der langen Hitzewelle Ende Juni 2019.

 

Ende Juli vor 4 Jahren lag ich im Abendrot auf der Laliderer Spitze und schaute ehrfürchtig hinüber zu den wilden Nordseiten der Rossloch-Umrahmung. Der Grat zwischen Hochkanzel, Brantlspitze und Gamskarspitze war schon damals ein Traumziel. 

  

Schaut man auf die Landkarte, ist das Rossloch das Zentrum des Karwendels. Von Scharnitz mit dem MTB durch das Hinterautal auf gut fahrbarer Forststraße weit hinein in das urweltliche Gebirg', ganz einsam ist es dort hinten also selten. Meine Route führt mich links des Reps (2.169m) in das urige Rossloch, nach Süden über den Rosslochkamm und später von rechts, vom Halleranger, wieder herunter. 

 

Um 7 Uhr mache ich Raddepot bei der Kastenalm (1.220m), dann zu Fuß auf dem Karrenweg weiter.

 

Am Hinteren Boden (1.420m). 

 

Hier wacht die Natur über Menschengemachtes, nicht umgekehrt. Der Fahrweg ist unterspült. 

 

Ein markierter Steig leitet hinauf Richtung Rosskar und Schneepfanne, ein paar harmlose Restschneefelder im Kargrund können leicht umgangen werden. Die Nordwände des südlichen Rosslochkamms wissen zu beeindrucken, hier auf Höhe der Hallerangerspitzen.

 

Fuchs und Hase, in diesem Fall ich und mein Schatten, sagen sich hier guten Morgen. 

 

Steil abfallendes Rosskar. Links hinten tauchen die Gipfel der nördlichen Umrahmung des Rosslochs auf, wie Laliderer Wand (2.620m), Dreizinkenspitze (2.603m) und Grubenkarspitze (2.663m), die ich damals auch überschritten habe. Die Grubenkarspitze ist auch eine abenteuerliche Frühjahrsskitour

 

Rückblick ins Rossloch und Hinterautal. Vor wenigen Wochen war hier noch tiefster Winter, heute fast ohne Schneeberührung bis 2.100m rauf. Obwohl ich rund 2:30h für die 900hm von der Kastenalm bis zur Schneepfanne brauche, steht in dieser wunderschönen Umgebung die Zeit still.

  

Zustieg zum Westgrat der Rosslochspitze. 

 

Auf 2.120m rechtshaltend in den Kessel der Schneepfanne, der Jahreszeit entsprechend gut mit Altschnee gefüllt. Ideale Verhältnisse für den Zustieg zur nordseitigen Steilrinne. Links oben nach 23km Wegstrecke nun endlich die Hochkanzel.

 

Bergsteigerherz, was willst du mehr? Im Hintergrund lachen die Sonnenspitzen herüber. Es hat wunderbaren Trittschnee und einen schön kühlenden Fallwind. 

 

Nach knapp 200 Höhenmetern Blick in die Rinne, ganz durchgängig ist der Schnee nicht mehr. Steigeisen drauf und los, der Einstieg liegt bei etwa 2.330m.

 

Anstatt sich in der geradeaus führenden Steilrinne herumzuplagen, wähle ich den empfohlenen Aufstieg rechterhand (II). Unbedingte Helmpflicht in diesem Bereich, unzählige Steine im Schnee zeugen von regelmäßigem Steinschlag.

 

Brüchiger und steiler Ausstieg auf die Felsrippe (II), die Bewertung III im alten AVF kann ich für diesen Bereich nicht nachvollziehen. Mit den Steigeisen zwar etwas hakelig, bei umsichtigem Steigen aber keine Schwierigkeiten. Im Abstieg ist hier jedoch unbedingte Vorsicht geboten auf dem kugellagerartigen Untergrund. 

 

Rasch geht der Bruch wieder in Firn über, dank Pickel und stabilem Firn sicher aufwärts. Bei gefrorenem Hartschnee wäre das hier eine sehr ernste Angelegenheit, ohne Schnee wohl eine unangenehme Bruchrutschbahn.

 

Etwa 100 Höhenmeter bei super Verhältnissen rauf, an den steilsten Stellen hats um die 45°. 

 

Kurz vor der Scharte (2.480m).

 

Wooooow - Hallo, Bettelwurf-Nordwand!

 

Umbau auf Sommer-Kraxel-Equipment und ab auf den Westgrat hinauf zur Hochkanzel. Die ersten Zacken sind fordernd (II+), können aber südlich umgangen werden.

 

Im Aufstieg bin ich direkt drüber, im Abstieg habe ich dann eine südseitige Umgehung genommen.

 

Nach einigen luftigen Passagen in sehr schönem, festem Fels wird der Grat nach oben hin gutmütiger. 

 

Blick hinüber zu Rossloch- und Grubenkarspitze. Besonders interessant ist die Lektüre des Nordgrats auf die Hochkanzel (III), ist aber schwer einsehbar. 

 

Atemberaubender Tiefblick ins Vomperloch, mittig Walderjoch und Walderalm, dahinter Inntal, Tuxer und Zillertaler Alpen. So nahe zu daheim und doch unendlich weit entfernt.

 

Dieses Gefühl einen neuen, lang ersehnten Gipfel zu erreichen gehört zu den wirklich schönen, befriedigenden Dingen im Leben. Es ist kurz nach 11 Uhr, samt Umbauzeiten hat der Anstieg durch die Schneepfanne, die Steilrinne und der Westgrat rund 90 Minuten in Anspruch genommen.

 

Auf der Hochkanzel (2.574m). 

 

  Gipfelbuch sagt 2.575m. Bin der erste heuer (wie auch später auf der Brantl- und Gamskarspitze), die jährlichen Begehungen sind an zwei Händen abzuzählen.

 

Einsame Kalkgiganten wie Platten- (2.492m) und Spritzkarspitze (2.626m). Der Grat runter von der Spritzkar schaut von hier genauso unangenehm aus wie ich ihn in Erinnerung habe.

 

Doch das war bisher ja nur der Auftakt. Das nächste Ziel, die Brantlspitze, schindet von der Hochkanzel betrachtet Eindruck. Meine Theorie ist ja, dass der Aufstieg meist umso schwieriger ist, je senkrechter die Plattenschichten sind - ein Paradebeispiel hierfür ist die Kumpfkarspitze

 

Nach einer halben Stunde Gipfelpause gehts hoch über der Schneepfanne also wieder den Westgrat runter.

 

Anfangs geräumig, nach unten hin immer schmäler.

 

Die letzten schwierigen Zapfen umging ich. 

 

Zurück in der Scharte, unten der Bereich des Knappenhüttls, wo das Überschalljoch ins Vomperloch abbricht. Von Süden führt lt. AVF eine IIIer Route durch die brüchige Flanke herauf. Die Route über die Hochkanzeltürme weiter östlich, siehe Foto in der Galerie oben, ist IV und mit Sicherheit ein noch anspruchsvolleres Unterfangen.

 

Steiles, aber festes II+ rauf auf den ersten kleinen Turm nach der Scharte.

 

Bei instabilem Wetter könnte man relativ rasch natürlich auch runter zurück in die Schneepfanne, generell sollte man aber bei instabilem Wetter sowieso nicht in diesem Gelände herumturnen.

 

Nach dem ersten Türmchen (habe kurz vor dem Scheitel eine etwas enge nordseitige Umgehung in Erinnerung) neue Bewertung des Geländes - schaut recht logisch aus. 

  

Ja da schau her, da kommt heute noch jemand in der Schneepfanne nach. Wundert mich auch nicht, die Empfehlungen lauten ja eindeutig, nicht zu lange in den Sommer hinein zuzuwarten.

 

Wie bestellt, diese Schichtfuge. Oben löst sich der Steilaufschwung in Wohlgefallen auf und nach ein paar eleganten Schwenkern (II) ... 

 

... steht man am Mittelturm und hat bis zur Brantlspitze nur mehr Genußgelände vor sich.

 

Hochkanzel im beeindruckenden Profil. Auch im Rückblick nach der Tour bleiben die Passagen links und rechts der Anstiegsscharte aus der Schneepfanne jene mit dem höchsten Anspruch - was aber nicht heißt, dass der Rest der Gratstrecke als "einfach" misszuverstehen ist. Man bewegt sich über Stunden im zum Teil stark ausgesetzten Gelände. 

 

Nordwände des südlichen Rossloch-Kamms. Im Westen das langgezogene Hinterautal und ganz hinten Wetterstein und Zugspitze. 

 

Schönes Kraxeln (kaum II), die leichteste Passage am weiten Weg zur Gamskarspitze. 

 

Brantlspitze (2.626m), ab hier ein wunderschönes Panorama nach Westen zu den Lafatschern

 

Blick retour, eine starke Stunde habe ich von der Hochkanzel herüber gebraucht. Zur Mittagsstunde brennt die Sonne ziemlich runter, ich konstruiere mir zusätzlich zum Kapperl einen Nackenschutz. Auf der Brantlspitze stört es eben keinen, wenn man ausschaut wie ein Clown.

 

Das Karwendel - ein Sehnsuchtsort.

 

Weiter gehts auf die letzte anspruchsvolle Grat-Etappe hinüber zur Gamskarspitze. Gratkletterei mit Fernsicht vom Feinsten.

 

Es wird nun generell brüchiger und bald auch wieder sehr schmal und ausgesetzt. Wäre ein schöner IIer, durch die Brüchigkeit im Abstieg aber mit Vorsicht zu nehmen. Bedächtiges Klettern ohne ruckartiges Reißen ist hier die Devise.

 

Gegenüber in einem Gemisch aus Gelb und Grau zum nächsten Gratturm. Diese Stelle empfand ich im Aufstieg als unschwierig, wird aber in diversen Berichten immer wieder erwähnt.

 

Abklettern in wieder festerem Gestein.

Andere sehen hier nur ödes Gefels, für mich ein Traum in grau-weiß-blau.

 

Die unscheinbare Westliche Brantlspitze lasse ich hinter mir.  

  

Um sogleich an der Überschallspitze vorbeizuflanieren. Immer wieder zieht mich die Nordwand des Gr. Bettelwurf (2.726m) in seinen Bann, von der Mitte nach rechts die lange Gratstrecke zwischen Kleinem Bettelwurf (2.650m) und Speckkarspitze

 

Felsenfenster.

 

Im letzten, tendenziell wieder stabileren Teilstück zur Gamskarspitze. 

 

Rückblick zur Brantlspitze, etwa 50 Minuten nahm diese Gratstrecke in Anspruch. 

 

Ankunft auf der Gamskarspitze (2.601m). Unten ist nun der Halleranger zu sehen, darüber das Lafatscher Joch, links davon die Speckkarspitze (2.621m), rechts die Lafatscher. 

 

Gruß über Ross- und Bockkar hinüber zu den Laliderern.

  

Wechner'sche Hinterlassenschaft. Die anderen Inschriften am Westgrat der Gamskarspitze habe ich im Abstieg leider übersehen.

 

Überblick über die drei begangenen Gipfel, die Hochkanzel geht im Grau aber fast unter. Recht instruktiv hier das Profil des Hochkanzel-Nordgrats, der schwierigste Bereich dürfte im unteren Teil liegen.

 

Ab hier lässt die Brisanz nach. Wer möchte, könnte sich an den westlich anschließenden Überschallspitzen weiter die 'Kante' geben (III). Mich ziehts nach bereits fast 8 Stunden on tour zum Halleranger hinunter, der Hatscher retour zur Kastenalm ist noch weit.

  

Ein letzter Blick zur Rosslochspitze mit ihrem fotogenen Westgrat. 

 

Der "Herzerlfelsen". Hier musste ich mich hinsetzen und das wahrhaft gigantische Panorama aufsaugen. Früher Nachmittag, Sommer, kein Wölkchen am Himmel.

 

An dieser Rippe verlässt man den Grat. 

 

Viele Wege führen zum Halleranger, ich folge der Empfehlung hier eher direkt abzusteigen.

 

Fast ohne Latschenkampf kommt man entlang des Gerinnes gut runter.

  

Hallerangeralm (1.768m), dahinter die berühmte Nordostverschneidung unterhalb des Lafatscher Rosskopfes. Unter 2.000m extrem heiß, doch es warten noch über 4 km Fußmarsch zurück zur Kastenalm. 

  

Am Lafatscher Niederleger (1.577m) vorbei, im Hintergrund die wunderschöne Speckkarspitze. 

 

Wenn ich Hufe hätte, hätten mir die Fußsohlen nicht so gebrannt. 

 

Wandern durch ein Märchenland.

 

Weil's so schön ist.

 

Zurück beim Kasten.

 

Ein halbe Stunde später das obligatorische Bild des Hinterautals zum Tourenabschluß. Ich kann nicht zählen, wie oft ich schon hier war, aber diese Tour an diesem traumhaften Tag Ende Juni 2019 wird einen Platz in meiner ganz persönlichen Karwendel-Ehrenliste einnehmen. 

 


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Kommentare: 7
  • #1

    Hannes (Dienstag, 02 Juli 2019 19:59)

    Ein absoluter! Wunderschöne Tour!!
    ��

  • #2

    Hannes (Dienstag, 02 Juli 2019 20:00)

    *Traum

  • #3

    Edi (Dienstag, 02 Juli 2019 20:09)

    Wahnsinns Tour und spitzen Bericht, ein wahrlicher Genuss! Auch wenn man sich am Grat nicht verlaufen kann, wünschte ich mir schon öfter einen GPX-Track deiner Touren. Weitermachen und bis bald! Edi

  • #4

    Hannes2 (Mittwoch, 03 Juli 2019 15:23)

    Eine geniale Tour mit genialen Bildern! Weiter so. Immer wieder inspirierend, eure Berichte. Daumen nach oben!

  • #5

    Rainer (Freitag, 05 Juli 2019 20:30)

    Willkommen im Club Jürgen.
    Die Königsstrecke ist jene über die Rosslochspitze - falls du Lust dazu hast.
    Aber ohne das neumodische Radl und Scharnitz, nein, direkt übers Joch.
    Berg Heil
    Rainer

  • #6

    Jürgen (Sonntag, 07 Juli 2019 09:57)

    Danke allen für das motivierende Feedback!

    @Edi: GPX-Tracks veröffentlichen wir von solchen Touren bewusst nicht. Jeder sollte sich vorab selbst ernsthaft mit der Tourenplanung auseinandersetzen. Wenn der Wunsch besteht kann ich dir den selbst aufgezeichneten Track übermitteln, aber wie du richtig schreibst kann man sich auf diesem relativ übersichtlichen Grat kaum verlaufen.

    @Rainer: sehr gerne, auch auf "altmodisch" :) Habe gestern zwei Karwendelkenner getroffen die mir über den Übergang von der Rosslochspitz berichtet haben. Allerdings nur für den Aufstieg, ist ernster als der Grat zwischen Hochkanzel und Gamskarspitze.

  • #7

    Florian (Montag, 11 Juli 2022 20:07)

    habe heute den 11.7.2022 diese Tour gemacht, super schöne Gratkraxlerei